Erbschaft - Vorausvermächtnis
Fragestellung
Mutter hat eine Tochter A und einen Sohn B. Tochter A hat einen Sohn (Enkel) C. Sohn B hat einen Sohn (Enkel) D. Ehemann der Mutter bereits 2000 verstorben. Mutter/Vater machen zu Lebzeiten Schenkungen an Tochter und Sohn (1998 bis 2002). Mutter schreibt 2009 1. Testament mit einem Voraus-Vermächtnis von 30.000€ zugunsten der Tochter A. Tochter A stirbt 2013. Mutter ändert das Testament 2013 und formuliert ein Voraus-Vermächtnis für den Enkel C in Höhe von 30.000€. Begründung im Testament: Gleichstellung ihrer Kinder. Sohn B erhält keine Informationen über ein Testament und auch nicht über ein Voraus-Vermächtnis. Mutter stirbt 2020 und hinterlässt ein Vermögen von rund 50.000€. Nach Deckung sämtlicher Kosten bleiben rund 45.000€ als Nachlass.
Enkel C fordert sein Voraus-Vermächtnis. Die restlichen 15.000€ werden geteilt. Sohn B erhält demnach 7.500€
1. Muss Sohn B ohne Kenntnis über die tatsächliche Höhe der Schenkungen an Tochter A dieses Testament akzeptieren. Gibt es eine Beweispflicht?
2. Muss die Mutter die Kinder über ihr Testament resp. das Vorausvermächtnis informieren?
3. Hat Sohn B Anspruch auf den Erbteil des im Jahr 2000 verstorbenen Vaters?
4. Wie berechnet sich der Pflichtanteil von Sohn B?
5. Werden die zu Lebzeiten getätigten finanziellen Zuwendungen der Mutter an den Enkel C in irgendeiner Form berücksichtigt? Gibt es Fristen?
6. Letztendlich: Ist dieses Testament erfolgreich anfechtbar?
Ich hätte gern eine Antwort und kann mein Gebot gern erhöhen...
Hinweis: Die Frage und Antwort wurde anonymisiert und mit Erlaubnis des Kunden veröffentlicht. Ihre eigene Frage wird standardmäßig nicht veröffentlicht.
Antwort von Rechtsanwältin Dominique Johanna Popiel
Sehr geehrte(r) Rechtssuchende(r),
gerne habe ich Ihre Fragen zu dem Thema Vorausvermächtnis geprüft.
Im Vorfeld der Beantwortung Ihrer Fragen möchte ich Ihnen gerne die Einordnung und Funktion des Vorausvermächtnisses darstellen.
Ein Vermächtnis gemäß §§ 1939, 2147 ff. BGB verpflichtet in der Regel den Erben, einen Gegenstand aus der Erbschaft einem Dritten zuzuwenden. Diese rechtliche Konstruktion ermöglicht es dem Vererbenden, jemandem etwas zukommen zu lassen, ohne ihn als Erben einzusetzen.
Das Vorausvermächtnis nach § 2150 BGB hat dieselbe Funktion wie das Vermächtnis. Es wird jedoch nur dann im Testament verwendet, wenn mehr als ein Erbe vorhanden ist und es daher nach dem Tod des vererbenden zu einer Erbengemeinschaft kommt.
Das Vorausvermächtnis stellt eine Möglichkeit dar, das Testament näher dahingehend zu gestalten, dass dadurch genauer bestimmt werden kann, wer zum Beispiel wann, welchen Betrag in welcher Höhe erhalten soll. Das Vorausvermächtnis ist von der Teilungsanordnung zu unterscheiden.
Eine Teilungsanordnung kann nach § 2048 BGB vom Erblasser im Testament verfügt werden, wenn mehrere Personen Erben werden. Mit der Teilungsanordnung trifft der Erblasser im Testament oder Erbvertrag eine Anordnung, wie ein oder mehrere Nachlassgegenstände bei der Auseinandersetzung unter den Miterben verteilt werden sollen. Eine Teilungsanordnung kann nach § 2048 BGB vom Erblasser im Testament verfügt werden, wenn mehrere Personen Erben werden. Mit der Teilungsanordnung trifft der Erblasser im Testament oder Erbvertrag eine Anordnung, wie ein oder mehrere Nachlassgegenstände bei der Auseinandersetzung unter den Miterben verteilt werden sollen.
Die Teilungsanordnung stellt kein Vermächtnis nach §§ 2147 ff. BGB dar. Sie beeinflusst die Erbquoten nicht. Ist der Wert eines zugewiesenen Gegenstands höher als die Erbquote des Bedachten, besteht eine Ausgleichspflicht gegenüber den Miterben. Mit der Teilungsanordnung wird also keiner der Miterben bevorzugt.
Anders als bei der Teilungsanordnung wird bei einem Vorausvermächtnis der vermachte Gegenstand nicht auf den Erbteil des Miterben angerechnet. Dieser erhält den Gegenstand vielmehr in „Voraus“ als Vermächtnis. Der Miterbe mit einem Vorausvermächtnis wird also bei gleicher Erbquote besser gestellt als die übrigen Miterben.
Ein Beispiel dazu: Sind die zwei Erben mit je einem 1/2 Erbteil bedacht und ist der Nachlass 100.000 Euro wert, führt die Zuwendung eines Autos im Wert von 20.000 Euro an einen Erben zu folgenden Unterschieden: - Liegt eine Teilungsanordnung vor, erhält Erbe A das Auto im Wert von 20.000 Euro plus 30.000 Euro und Erbe B 50.000 Euro. - Liegt hingegen ein Vorausvermächtnis vor, erhält Erbe A das Auto vorab und die verbleibenden 80.000 Euro werden zu gleichen Teilen auf die Erben aufgeteilt. Jeder erhält also 40.000 Euro. Erbe A ist damit bevorteilt (20.000 und 40.000 Euro) und Erbe B im Nachteil (nur 40.000 Euro).
Gemäß Ihren Angaben liegt in Ihrem Fall ein Vorausvermächtnis nach § 2150 BGB vor.
Nun zu Ihren Fragen:
1. Muss Sohn B ohne Kenntnis über die tatsächliche Höhe der Schenkungen an Tochter A dieses Testament akzeptieren. Gibt es eine Beweispflicht?
Sohn B muss das Testament als letzten Willen des Vererbenden akzeptieren. Ein Testament ist eine Form der Verfügung von Todes wegen, eine Regelung für den Erbfall. Es wird auch als letztwillige Verfügung bezeichnet (§ 1937 BGB). Sie ist eine einseitige, formbedürftige, jederzeit widerrufbare Willenserklärung des Erblassers (Testator) über sein Vermögen, die im Falle seines Todes (Erbfall) Wirkung entfaltet.
Das Testament stellt eine Abweichung von der gesetzlichen Erbfolge nach dem Willen des Erblassers dar und ist für die Erben verbindlich.
Weil das Testament die beschriebene willentliche Abweichung von der gesetzlichen Erbfolge durch den Vererbenden darstellt, gibt es hier keine Beweispflicht.
2. Muss die Mutter die Kinder über ihr Testament resp. das Vorausvermächtnis informieren?
Weil allein die Mutter als Vererbende darüber bestimmt, was nach ihrem Tod mit ihrem Vermögen geschehen soll, hat die Mutter keine Pflicht die Kinder über das Testament zu informieren. Sie werden nach ihren Tod von dem Notar oder dem Nachlassgericht, bei dem das Testament hinterlegt ist, informiert werden.
3. Hat Sohn B Anspruch auf den Erbteil des im Jahr 2000 verstorbenen Vaters?
Sohn B ist gemäß § 1924 Absatz 1 BGB Abkömmling erster Ordnung des Vaters. Abkömmlinge erster Ordnung sind die Kinder, Enkelkinder, Urenkelkinder.
Die Vorschrift des § 1924 BGB lautet:
(1) Gesetzliche Erben der ersten Ordnung sind die Abkömmlinge des Erblassers.
(2) Ein zur Zeit des Erbfalls lebender Abkömmling schließt die durch ihn mit dem Erblasser verwandten Abkömmlinge von der Erbfolge aus.
(3) An die Stelle eines zur Zeit des Erbfalls nicht mehr lebenden Abkömmlings treten die durch ihn mit dem Erblasser verwandten Abkömmlinge (Erbfolge nach Stämmen).
(4) Kinder erben zu gleichen Teilen.
Nach der gesetzlichen Erbfolge hat Sohn B einen Anspruch auf einen Viertel des Erbes seines Vaters. Die Hälfte des Erbes geht an die Mutter (ein Viertel gesetzlicher Erbteil unter Ehegatten im Güterstand der Zugewinngemeinschaft, ein Viertel Zugewinn aus der Zugewinngemeinschaft, §§ 1931 Absatz 1, 1371 Absatz 1 BGB. Von der zweiten Hälfte des Erbes geht bei gesetzlicher Erbfolge ein Viertel an die Schwester, das zweite Viertel an Sohn B.
Das genannte gilt jedoch nur, wenn nicht durch ein Testament oder einen Erbvertrag von der gesetzlichen Erbfolge abgewichen worden ist.
4. Wie berechnet sich der Pflichtanteil von Sohn B?
Der Pflichtteil sichert nahen Angehörigen eine gesetzliche Mindestbeteiligung am Nachlass und setzt so der Testierfreiheit eine gesetzliche Grenze. Abkömmlinge (§ 2303 Abs. 1 Satz 1 BGB), die Eltern und der Ehegatte (§ 2303 Abs. 2 Satz 1 BGB) oder der Lebenspartner (§ 10 Abs. 6 Lebenspartnerschaftsgesetz) des Erblassers erhalten daher auch dann eine wirtschaftliche Teilhabe am Nachlass, wenn sie durch Verfügung von Todes wegen (Testament oder Erbvertrag) von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen sind. Zu diesem Zweck steht ihnen gegen den bzw. die vom Erblasser eingesetzten Erben ein Pflichtteilsanspruch zu.
Der Pflichtteilsanspruch besteht dabei im Wert der Hälfte des gesetzlichen Erbteils und ist auf Zahlung eines entsprechenden Geldbetrages gerichtet. Die Erben können diesen Anspruch weder mit Sachwerten aus dem Nachlass erfüllen, noch kann der Pflichtteilsberechtigte die Herausgabe oder Übereignung von Sachen aus der Erbschaft verlangen.
Beispiel: Der verwitwete Erblasser E stirbt und wird von seinen Kindern A und B überlebt. In seinem Testament hat er A zum Alleinerben eingesetzt und B enterbt. B macht den Pflichtteil geltend. Nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge hätte er 1/2 des Nachlasses erhalten. Sein Pflichtteil beträgt daher 1/4.
Durch die Beantragung des Pflichtteils von Kind B sinkt der Erbanteil von Kind A:
Beispiel Einforderung des Pflichtteiles |
|||
Kind |
Erbanteil nach Testament |
→ |
B beantragt Pflichtteil |
A |
100 % |
75 % |
|
B |
0 % |
25 % |
5. Werden die zu Lebzeiten getätigten finanziellen Zuwendungen der Mutter an den Enkel C in irgendeiner Form berücksichtigt? Gibt es Fristen?
Eine Berücksichtigung im Sinne eines finanziellen Ausgleichs zwischen dem Pflichtteilsberechtigten und dem Enkel C sieht das Gesetz in diesem Zusammenhang nicht vor, denn der letzte Wille der Mutter war es, dem Enkel 30.000,00 € zuzuwenden.
Enkel C wurde im Rahmen eines Vorausvermächtnisses bedacht, welches, wie oben dargelegt, nicht auf den Erbteil angerechnet wird.
6. Letztendlich: Ist dieses Testament erfolgreich anfechtbar?
Die Anfechtung des Testaments richtet sich nach speziellen erbrechtlichen Vorschriften. Sie ist zu Lebzeiten des Testierenden ausgeschlossen, weil er – ebenfalls anders als bei sonstigen Rechtsgeschäften – eines Anfechtungsrechtes nicht bedarf, da er das Testament frei abändern oder aufheben kann. Als Anfechtungsgründe kommen zunächst Erklärungsirrtum und Inhaltsirrtum sowie Drohung und Täuschung in Betracht. Anders als bei sonstigen Rechtsgeschäften berechtigt aber auch ein Motivirrtum zur Anfechtung. Als besonderer Motivirrtum ist im Bürgerlichen Gesetzbuch ausdrücklich der Fall geregelt, dass der Erblasser einen Pflichtteilsberechtigten übergangen hat, von dem er bei Errichtung des Testaments nichts wusste oder der erst nach der Errichtung entstanden ist.
Orientiert an Ihren Angaben ist hier jedoch kein Anfechtungsgrund erkennbar.
Für Rückfragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Mit besten Grüßen
Rechtsanwältin Dominique Johanna Popiel
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Vielen Dank
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Es würde der Bearbeitung helfen, wenn Sie die Deadline bis Morgen um 17:00 Uhr verlängern.
Ich bedanke mich.
Mit besten Grüßen
Rechtsanwältin Dominique Johanna Popiel
recht herzlichen Dank für Ihre detaillierte Bearbeitung meiner Fragen. Auch wenn die Antworten nicht unbedingt meinen Interessen entgegenkommen, so habe ich jetzt zumindest das Gefühl, das alles mit "rechten Dingen" zugegangen ist.
Vielen Dank und ein schönes Wochenende