Einführung

Nach einer Infektion mit dem Corona Virus leiden viele Menschen an mittel- bis längerfristigen Folgeschäden, die auch unter dem Fachbegriff Long COVID bekannt sind. Die Beschwerden ähneln der chronischen Erkrankung CFS (Chronic Fatigue Syndrome). Das Syndrom zeichnet sich durch einen chronischen Erschöpfungszustand aus. Dieser ist verbessert sich auch nicht durch Schlaf. Mögliche Symptome sind ein starkes Erschöpfungsgefühl und eine geringere Toleranz gegenüber Belastungen. Meist geht das Syndrom auch mit kognitiven und physischen Symptomen einher (vgl. Scheibenbogen, 2019).

Differenzialdiagnose

Die Schulmedizin ist noch wenig vertraut mit Long COVID, was sich letztlich negativ auf die Dunkelziffer, Fehldiagnosen und Behandlungsmöglichkeiten auswirken kann. Vor einer Diagnose von Long COVID sollten in differentialdiagnostische Ausschlüsse vorgenommen werden. Z.B.: Eisenmangel, Medikamentennebenwirkungen (z.B. durch Antidepressiva), Schlafstörungen und andere Erkrankungen, die ähnliche Symptome zur Folge haben können (Tumoren, Autoimmunerkrankungen, chronische Erkrankungen, Pfeiffersches Drüsenfieber).

Verlauf und Symptome

Long COVID beginnt meist direkt im Anschluss nach der Infektion mit dem Corona Virus. Das Auftreten des Syndroms kann schleichend verlaufen. Häufig besteht ein Zusammenhang mit erhöhter körperlicher Belastung. Nebst Symptomen, die mit einem grippalen Infekt assoziiert werden, können auch Gedächtnis- und Sprachprobleme auftreten, sowie eine Überempfindlichkeit gegenüber Helligkeit, lauten Geräuschen und Gerüchen. Auch eine Verlangsamung des psychomotorischen und des Verdauungsapparats kann auftreten. Trotz des Erschöpfungsgefühls geht das Syndrom häufig mit Schlafstörungen einher. Variabel auftretende Schmerzen sind keine Seltenheit. Genauso wie eine mögliche Mundtrockenheit, Verdauungsbeschwerden, Tachykardie (Herzklopfen), Schwindel und Atmungsbeschwerden. Letztere drei Phänomene werden von Betroffenen auch als Panikattacken ähnliche Symptome beschrieben.

Diagnosemöglichkeiten

Im Allgemeinen gibt es keine diagnostisch typischen Symptome oder Kriterien. Dennoch können zur Feststellung von Long COVID die Kanadischen Konsensus Kriterien (CCC) verwendet werden (Bell, 1995), die auch bei CFS häufig angewendet werden (übersetzt abrufbar auf https://cfc.charite.de).

Long COVID ist in erster Linie ein subjektives Krankheitsbild. Der Schweregrad kann mit einem Test, wie dem SF-36 für körperliche Funktionsfähigkeit (Bullinger & Morfeld, 2008) oder der Chalder Fatigue Scale (Jackson, 2015) bestimmt werden. Eine mögliche verringerte Kraft der Muskulatur kann mit einem Handkraft-Dynamometer erfasst werden. Schwere Verläufe resultieren häufig in Bettlägerigkeit und in einer Lärm- und Lichtempfindlichkeit. Trotz des chronischen Krankheitscharakters, der auch eine Bedrohung der Existenz mit sich zieht, sind die wenigsten Betroffenen depressiv.

Therapie

Die Behandlung läuft symptomorientiert ab. Es gibt bislang keine pauschale Medikation für Long COVID. Ziel ist eine Symptomreduktion bzw. -linderung und die Vermeidung von Überanstrengung, welche die Beschwerden verschlimmert. Etwaige Mangelerscheinungen sollten außerdem behoben werden. Besserung verschaffen sollen nebst der symptomatische Therapie also Stressreduktion und die Einhaltung eines individuell angemessenen Belastungsniveaus (durch Pacing). Betroffenen wird empfohlen ihren Lebensstil der Krankheit anzupassen und Überbelastung zu vermeiden. Pacing gilt als Präventionsstrategie und kann zudem die Prognose günstig beeinflussen. Weitere Methoden sind Entspannungstechniken, Achtsamkeit, Autogenes Training, Progressive Muskelrelaxation, Meditation, Anwendung von Gehörschutz, Sonnenbrillen, Bildschirmanpassung. Vor allem psychosoziale Ressourcen spielen eine wichtige Rolle, insbesondere bei den psychischen Symptomen (seelische Erschöpfung, Trauer, Angst, Unsicherheit). Es kann hilfreich sein sich mit anderen Betroffenen auszutauschen (Selbsthilfegruppen, online Foren). Generell hat sich bei vielen Erwachsenen eine längerfristige Gabe von Antibiotika bewährt.

Mögliche Medikationen für bestimmte physischen Symptomen:

  • Schlafstörungen -  Melatonin, Antihistaminika (1. Generation)
  • schwere Schmerzen – Pregabalin, multimodale Schmerztherapie
  • Depression - Antidepressiva mit Verhaltenstherapie
  • Immunglobulinmangel - Immunglobulin-G-Substitution
  • Verlangsamter Energiestoffwechsel – Nahrungsergänzungsmittel (Ribose, Carnitin, CoenzymQ10 und NADH, Magnesium 300-500, Eisen, Folsäure, Vitamin D

Was können Betroffene selbst tun?

Wichtig ist eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr und Salzaufnahme. Der Verzehr von proteinreichen Nahrungsmitteln und ungesättiten Fettsäuren (Omega3, Walnüsse) ist sehr zu empfehlen. Den häufigen Verdauungsbeschwerden lässt sich gut mit Flohsamenschalen begegnen. Die Aufnahme von Phospholipiden ist empfehlenswert (zu finden in Eigelb und Soja). Fällt die Nahrungsaufnahme auf Grund des Intensitätsgrads der Krankheit schwer, so kann Trinknahrung als Alternative herangezogen werden.

Kinder und Jugendliche

Vor allem Jugendliche, aber auch jüngere Kinder können an Long COVID erkranken. Ursache, Beginn und Symptome ähneln den Verläufen bei Erwachsenen. Zur Diagnose gibt es ein Arbeitsblatt, dass an die Besonderheiten von Kindern- und Jugendlichen angepasst ist (Rowe et. al.). Es beruht auf dem CCC. Differentialdiagnostisch gibt es bei Kindern- und Jugendlichen noch einiges mehr zu beachten. So wie etwa eine Schulverweigerung oder das seltene Münchhausen-proxy-Syndrom.

Die meisten von Long COVID betroffenen Jugendlichen sehen sich nach mehr Aktivität und sind höchst bestrebt, ihr altes Leben zurückzugewinnen. Eine elternunabhängige Befragung der Kinder kann hilfreich sein. Je nach Schweregrad können lange Schulfehlzeiten und Bettlägerigkeit resultieren. Eine besondere Schwierigkeit ist die typischerweise morgens niedrigere Belastbarkeitsgrenze und generell die Schwankungen der Schwelle der Belastbarkeit. Aktivitäten und das soziale Netzwerk der Jugendlichen sind dadurch gefährdet. Betroffene Jugendliche schätzten ihre Lebensqualität geringer ein als Gleichaltrige, die anderen chronischen Erkrankungen (z.B. Diabetes). (Scheibenbogen, 2019).

Auch bei Kindern ist die Therapie, wie bei Erwachsenen symptomorientiert. Allerdings ist die Gabe von Medikamenten hier mit Vorsicht zu genießen. Dennoch kann eine Medikation der Leitsymptome zur akuten Entlastung und zur Vermeidung von Folgeschäden indiziert sein.

Voraussetzungen für eine günstige Prognose

Die Prognose ist bei heranwachsenden Betroffenen insgesamt günstiger als bei Erwachsenen. Unabhängig von der Altersgruppe sollten frühzeitig psycho- und physiotherapeutische Therapiemöglichkeiten in Anspruch genommen werden. Den meisten Patienten sind vor allem wichtig:

  • Erreichen einer bestmöglichsten Kontrolle ihrer Symptome
  • sozialer (und bei Kindern auch schulischer) Support
  • Erhalten von Hilfe zur Selbsthilfe (welche dem Alter angemessen sein sollte)
  • Akzeptanz von den medizinisch und therapeutisch Betreuenden, sowie vom Umfeld  

Autorin:
Sonya Anders (Psychologin, M.Sc. Angewandte Psychologie)

Literaturverzeichnis:

Bell, D. S. (1995) The Doctor’s Guide to Chronic Fatigue Syndrome. Understanding, Treating, and Living with  Cfids, Addison-Wesley,Publishing Company, Reading, MA. (S. 122 f.).

Bullinger, M., Morfeld, M. (2008) Der SF-36 Health Survey. In: Schöffski O., v. d. Schulenburg J.M.G. (eds) Gesundheitsökonomische Evaluationen. Springer, Berlin, Heidelberg.

Charité Fatigue Centrum, abgerufen am 24.03.2022, https://cfc.charite.de/

Jackson, C., (2015). The Chalder Fatigue Scale (CFQ 11). Occupational Medicine, 65(1), S. 86

Rowe, P. C., et. al. (2017) Myalgic Encephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome Diagnosis and Management in Young People. A Primer. Front Pediatr.

Rowe, K. S. (2019) Long Term Follow up of Young People with Chronic Fatigue Syndrome Attending a Pediatric Outpatient Service. Front Pediatr.

Scheibenbogen, C., et. al. (2019). Chronisches Fatigue Syndrom/CFS. Praktische Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie. Ärzteblatt Sachsen.