Auslegung des § 19 BImSchV - Ableitbedingungen für Abgase
Fragestellung
Sehr geehrter Herr Hesterberg,
aufgrund Ihrer Beratungsschwerpunkte in den aus meiner Sicht relevanten Bereichen Baurecht und Verwaltungsrecht in Kombination mit Ihrem sehr guten Bewertungsprofil möchte ich mich vertrauensvoll mit meiner Frage an Sie wenden.
Wir sind Eigentümer eines Reiheneckhauses in einem Neubaugebiet in Leinfelden-Echterdingen bei Stuttgart. Das Haus besteht aus zwei Stockwerken (EG und 1. OG). An der Längsseite unseres Hauses ist ein Kamin eingebaut, an dem wir Anfang 2016 einen Ofen angeschlossen haben. Dieser Ofen ist ein reiner Komfortofen für gelegentliche Nutzung. Als primäre Heizung nutzen wir die normale Fußbodenheizung.
Beim Anschluss des Ofens wurden wir vom Bezirksschornsteinfeger informiert, dass es ein Problem mit der Einhaltung des §19 der 1. Bundes-Immissionsschutzverordnung gibt. Neben unserem Grundstück steht ein Mehrparteienhaus in ca. 12 Meter Entfernung von unserem Schornstein. Dieses besteht aus vier Stockwerken (EG, 1.OG, 2.OG und 3.OG), ist also zwei Stockwerke höher als unser Haus. Gemäß dem §19 der BImSchV muss die Austrittsöffnung des Schornsteins in einem Umkreis von 15 Metern die Oberkanten von Lüftungsöffnungen, Fenstern und Türen um mindestens 1 Meter überragen.
In der Folge ist der Bauträger aktiv geworden, und hat in Absprache mit dem Bezirksschornsteinfeger unseren Schornstein auf eine Länge von ca. 4,4 Meter verlängert. Damit liegen wir zwar immer noch nicht 1 Meter höher als die höchsten Fenster des Nachbargebäudes, aber der Bezirksschornsteinfeger sagte, dass aus seiner Erfahrung heraus eigentlich keiner mehr gestört werden könnte, und hat uns die Inbetriebnahme bescheinigt, allerdings mit dem Hinweis der Nichteinhaltung des §19 BImSchV. Ich hänge Ihnen als Dokument diese Bescheinigung an.
Wir haben dann die ersten Monate von 2016 den Ofen genutzt.
Im September 2016 erhielten wir ein Schreiben vom Baurechtsamt, in welchem wir aufgefordert wurden, die Maßgaben des §19 BImSchV einzuhalten. Auch dieses Schreiben hänge ich Ihnen an. Wie sich herausstellte, haben wir einen sehr renitenten älteren Nachbarn, den wir trotz mehrfacher Versuche einer Kontaktaufnahme bis heute noch nie persönlich gesehen haben, und der nun alles daran setzt, uns die Nutzung des Ofens untersagen zu lassen.
Es wurde dann nach Lösungsmöglichkeiten für diese Situation gesucht. Ein weiteres Erhöhen des Schornsteins war aus statischen Gründen nicht möglich. Als mögliche Lösung kommt nach derzeitigem Stand nur das Verschieben des ganzen Kamins um 3 Meter infrage, was sowohl teuer als auch optisch unschön wird. Zudem habe ich schon mitbekommen, dass der Nachbar auch nach dem Verschieben per Gutachten gegen unseren Kamin vorgehen will, da er von unserem Kamin Feinstaub fürchtet.
So viel zu der Ausgangssituation. In den letzten Tagen habe ich mich nochmals eingehend mit dem §19 BImSchV befasst, und bin auf eine Besonderheit gestoßen. Der genau Wortlaut heißt ja, dass "Austrittsöffnungen von Schornsteinen ... in einem Umkreis von 15 Metern die Oberkanten von Lüftungsöffnungen, Fenstern und Türen um mindestens 1 Meter überragen müssen". Durch Gespräche mit dem Bezirksschornsteinfeger in den letzten Monaten hatte sich bei mir umgangssprachlich im Kopf festgesetzt, dass wir 1 Meter höher als das Nachbargebäude sein müssen.
Unter Berücksichtigung des genauen Wortlauts ist mir aber folgendes aufgefallen: Der beschwerdeführende Nachbar wohnt im 2. OG. Im 3. OG über ihm befindet sich eine Penthouse-Wohnung, die in unserer Richtung eine große Dachterrasse hat. Ich habe festgestellt, dass alle Fenster und Türen der Penthousewohnung mehr als 15 Meter entfernt sind (zwischen 17 und 18 Meter). Das Dach unseres Hauses befindet sich auf ca. gleicher Höhe wie der Fußboden des 2.OG des Nachbargebäudes. Der Schornstein auf unserem Dach überragt mit der Höhe von 4,4 Meter damit locker die Oberkanten der Fensteröffnungen aus dem 2. OG um mehr als einen Meter. Mit anderen Worten, nimmt man den Radius von 15 Meter um unseren Schornstein, befindet sich innerhalb dieses Radius genau ein einziges Fenster, und dieses liegt mehr als ein Meter niedriger als unsere Austrittsöffnung. Ich hoffe ich habe das verständlich beschrieben, und habe noch versucht eine Skizze zu malen und hänge sie Ihnen an.
Mit dieser Erkenntnis habe ich den Bezirksschornsteinfeger konfrontiert. Er sagte mir, dass er auch schon daran gedacht habe, aber es gäbe Kommentare aus Rechtsprechung zu diesem Paragraph, die besagen, dass wenn ein Fenster eines Hauses im Radius liegt, der Schornstein dann das ganze Haus um 1 Meter überragen muss. Auf meine Rückfrage, dass das so in der Verordnung nicht steht, sagte er, dass er einen befreundeten Rechtsanwalt mal dazu befragen würde. Ich habe ehrlich gesagt kein großes Vertrauen ob ich eine korrekte Aussage hierzu bekommen werde, und möchte daher hierzu um Ihre Einschätzung bitten.
Meine Fragen sind also, ob es tatsächlich Kommentare zu dem §19 BImSchV gibt, die das Besagte regeln. Falls ja, würden diese Kommentare eins zu eins für unsere Situation gelten? Gibt es eine Möglichkeit, dass ich mich darauf berufe, dass unsere Situation gemäß strikter Auslegung der Verordnung regelkonform ist?
Bitte lassen Sie mich wissen, falls es dazu noch Rückfragen gibt.
Herzlichen Dank schon mal für Ihre Einschätzung.
Mit freundlichen Grüßen,
Christian Stolzenberg
Hinweis: Die Frage und Antwort wurde anonymisiert und mit Erlaubnis des Kunden veröffentlicht. Ihre eigene Frage wird standardmäßig nicht veröffentlicht.
Antwort von Rechtsanwalt Daniel Hesterberg
Sehr geehrte(r) Fragesteller(in),
vielen Dank für Ihre Anfrage, die ich gerne auf Basis Ihres Einsatzes und des von Ihnen mitgeteilten Sachverhalts wie folgt beantworte:
Danke nochmals für Ihre Preiserhöhung.
Zur Sache:
Nochmals die Norm als teilweises Zitat zum besseren Verständnis.
Erste Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über kleine und mittlere Feuerungsanlagen - 1. BImSchV)
§ 19 Ableitbedingungen für Abgase
"(1) Die Austrittsöffnung von Schornsteinen bei Feuerungsanlagen für feste Brennstoffe, die ab dem 22. März 2010 errichtet oder wesentlich geändert werden, müssen
1.
bei Dachneigungen
a)
bis einschließlich 20 Grad den First um mindestens 40 Zentimeter überragen oder von der Dachfläche mindestens 1 Meter entfernt sein,
b)
von mehr als 20 Grad den First um mindestens 40 Zentimeter überragen oder einen horizontalen Abstand von der Dachfläche von mindestens 2 Meter und 30 Zentimeter haben;
2.
bei Feuerungsanlagen mit einer Gesamtwärmeleistung bis 50 Kilowatt in einem Umkreis von 15 Metern die Oberkanten von Lüftungsöffnungen, Fenstern oder Türen um mindestens 1 Meter überragen; der Umkreis vergrößert sich um 2 Meter je weitere angefangene 50 Kilowatt bis auf höchstens 40 Meter. [...]."
1 Meter höher als das Nachbargebäude müssen Schornsteine nicht sein, aber bei 15 m muss das zuletzt darunter befindliche Fenster mindestens um einen Meter überragt werden, also hinsichtlich aller Geschosse, 2. und 3. OG bzw. DG des Nachbarhauses.
Werden die Anforderungen der 1. BImSchV bezüglich der Ableitbedingungen nicht eingehalten, meldet der Bezirksschornsteinfegermeister das Ergebnis der zuständigen Überwachungsbehörde. Das wird hier derart geschehen sein.
Sie haben nach Ihrer Schilderung festgestellt, dass alle Fenster und Türen der Penthousewohnung mehr als 15 Meter entfernt sind (zwischen 17 und 18 Meter), deswegen also ein Abstand von 1 m nicht erreicht sein muss, dieses eben nur bezüglich der Wohnung des Nachbarn im 2. OG, was erfüllt wäre.
Das reicht aber so aus. Ich sehe das nach Ihrer Skizze als erfüllt an.
Anbei habe ich Ihnen zwei Skizzen angehängt, wonach das so erfüllt werden kann.
Rechtsprechung dazu habe ich leider (noch) nicht gefunden, was noch etwas dauern kann. Ich melde mich aber dazu in den nächsten Tagen.
Kommentare aus Rechtsprechung zu diesem Paragraph, die besagen, dass wenn ein Fenster eines Hauses im Radius liegt, der Schornstein dann das ganze Haus um 1 Meter überragen muss habe ich nicht gefunden, was auch vom Sinn und Zweck der Regelung nicht nachvollzogen werden kann.
Bitte melden Sie sich in der Zwischenzeit bei mir, ob das die Skizzen (s. Anlage) mit Ihrer Sachlage in Einklang gebracht werden können (ich meine ja, s. o.).
Ich hoffe, Ihnen damit weitergeholfen zu haben und wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.
Vielen Dank im Voraus für Ihre Bewertung meiner Antwort. Für Rückfragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Daniel Hesterberg
Rechtsanwalt
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vielen Dank für Ihre Stellungnahme, die für mich natürlich erfreulich ausfällt. Natürlich warte ich gerne noch ab was die Recherche zu möglicherweise vorhandener weiterer Rechtsprechung betrifft.
Die Skizzen stellen im Grunde unsere Sachlage korrekt dar. Ich habe noch eine kleine Änderung vorgenommen, um deutlicher herauszustellen, dass im OG noch Bewohner sind. Ich denke dadurch ändert sich die Sachlage aber nicht, oder?
Darf ich Sie noch bitten, mir eine Handlungsempfehlung zu geben, in welcher Form ich dem Baurechtsamt idealerweise meinen Einspruch zu deren Schreiben vom September 2016 entgegen bringen sollte?
Außerdem sollte ich dann noch beim Bezirksschornsteinfeger erwirken, dass in dessen Bescheinigung der Hinweis auf Nichteinhaltung des §19 gestrichen werden muss.
Vielen Dank und schöne Grüße,
Christian Stolzenberg
vielen Dank für Ihre Nachricht.
In der Tat sollten Sie sich an das Baurechtsamt wenden und außerdem noch beim Bezirksschornsteinfeger darauf hinwirken, dass in dessen Bescheinigung der Hinweis auf Nichteinhaltung des §19 gestrichen werden muss.
Trotz weiterer intensiver Suche bin ich nicht auf die angebliche Rechtsprechung gestoßen, die der Bezirksschornsteinfeger angeführt hat. Möge dieser oder das Baurechtsamt gerne solche vorliegen, ich konnte auch in unseren juristischen Datenbanken dazu nichts finden.
Aber nach meinem Verständnis, nach dem Wortlaut und Sinn und Zweck der Regelung sowie den Musterskizzen, die ich gefunden habe, sehe ich hier kein Verstoß von Ihnen. Vielen Dank auch noch für die Übersendung Ihrer Skizzen, wonach sich die Sach- und Rechtslage nicht zu Ihrem Nachteil ändert.
Ich hoffe, Ihnen damit gedient zu haben.
Mit freundlichen Grüßen
Daniel Hesterberg
Rechtsanwalt