Der Ablasshandel der Neuzeit

Von STB Rainer Schenk, Berlin, 14.03.2014

Nach Abschluss des so genannten Hoeneß Prozesses und der Akzeptanz des Urteils durch Uli Hoeneß kommt es zu neuen Auswüchsen in der Presse und grotesken Mutmaßungen darüber, warum Hoeneß nicht in Revision gegangen ist. Interessant sind auch die substanzlosen Beiträge vieler selbst ernannter Steuerexperten in Bezug auf die Geschehnisse rund um den Prozess. Die Öffentlichkeit wird es wohl nie erfahren, ob Uli Hoeneß aus Größe und Würde heraus sein Urteil akzeptiert hat, oder womöglich aus Angst, im Rahmen einer Revision, ein noch höheres Urteil einzufangen.

Insgesamt ist der gesetzlich verankerte Ablasshandel in Form der Selbstanzeige nicht akzeptabel und man muss sich die Frage stellen warum so etwas überhaupt in der Neuzeit existieren kann. Am Ende handelt es sich um ein Geschäft zwischen Steuerstraftätern und dem Staat, mit dem Ziel erheblicher Einnahmen für die Staatskasse. Eine Moral scheint es hierfür nicht zu geben. Aber alle fanden Uli Hoeneß unmoralisch. Das deutsche Steuersystem ist im internationalen Vergleich , was die Höhe der Steuersätze anbelangt, auf den vorderen Plätzen und wenn es um „Ursache – Wirkung“ geht, ist unsere Steuersystem dafür verantwortlich, dass es überhaupt Steuerflüchtlinge gibt.  Daran ändert auch die Mitgliedschaft in der EU nichts. Legale Steuerflucht großer Konzerne im Milliardenhöhe durch aggressive Steuergestaltung innerhalb der EU über die direkten Nachbarn von Deutschland sind allgegenwärtig. Ist das in Ordnung?  

Für mich als Steuerberater stellt sich indessen die Frage, warum es bei Uli Hoeneß überhaupt erst zu einer Anklage kommen konnte, wobei ich nicht über vollständige Informationen verfüge, um mir ein gesichertes abschließendes Urteil bilden zu können. Im Gegensatz zu manch einem Schlaumeier. Grundsätzlich dreht sich im Fall Uli Hoeneß alles um die womöglich verunglückte Selbstanzeige. Ich selbst habe schon in mehreren Fällen von Steuerkanzleien Mandate übertragen bekommen, im Rahmen derer ich Selbstanzeigen für deren Mandanten angefertigt habe und in allen Fällen das Ergebnis eine Strafbefreiung war. Insofern sollte ich über eine gewisse Erfahrung im Umgang mit Selbstanzeigen zu verfügen.

Grundsätzlich wird eine Selbstanzeige immer aus einer gewissen Notsituation heraus erforderlich, weil die entsprechenden Personen befürchten, unmittelbar mit ihrer Steuerstraftat aufzufliegen. Es ist im Fall Uli Hoeneß so gewesen und auch bei allen anderen Personen, die sich dazu entschlossen haben, eine Selbstanzeige vorzunehmen.

Zeitlich entspannte Selbstanzeigen gibt es in den wenigsten Fällen, so dass in der Regel nicht immer über erforderliche Informationen und Unterlagen verfügt werden kann, um eine Selbstanzeige vollständig abfassen zu können. Insofern stellt sich die Frage, ob die Gesetzesnorm der Selbstanzeige (§ 371 AO) technisch überhaupt umsetzbar ist. Meines Erachtens nein, aber die Praxis zeigt, dass es in den meisten Fällen seitens des Finanzamtes und der Strafverfolgungsbehörden ausreicht, eine mit Sicherheitspuffern versehene Schätzung von Besteuerungsgrundlagen vorzunehmen und zwar immer dann, wenn man objektiv nicht in der Lage ist, in der Kürze der Zeit eine vollständige Selbstanzeige vorzunehmen. Nach dem Motto „Mehr ist besser“ wird man es schaffen können, eine Sperrwirkung bei der Selbstanzeige zu verhindern, insbesondere durch offene Kommunikation mit dem Finanzamt bzw. der Strafsachenstelle des Finanzamtes. Natürlich muss sich der Steuerpflichtige im Anschluss an eine suboptimale Selbstanzeige aktiv darum bemühen, weitere Unterlagen zu beschaffen, um Besteuerungsgrundlagen zu einem späteren Zeitpunkt genauer zu ermitteln. Zu diesem Zeitpunkt ein Pokerspiel mit der Justiz zu beginnen, führt wohl in den meisten Fällen zu einer Niederlage in Form einer unwirksamen Selbstanzeige.

Ich vertrete indessen auch die Meinung, dass die gesetzlichen Grundlagen einer Selbstanzeige stark reformbedürftig sind, insbesondere fehlt es an einem formalen Konzept der Umsetzung, um klare Verwaltungsanweisungen und vor allem ist keine klare Linie  der Durchführbarkeit erkennbar. Eines ist sicher: Wird der Steuerberater beauftragt, für einen Mandanten eine Selbstanzeige zu erstellen, begibt er sich in maximale Haftungsgefahr mit der Folge, beim Scheitern einer Selbstanzeige aufgrund von ihm begangener formaler Fehler, von seinem Mandanten in Regress genommen zu werden. Ich glaube nicht, dass eine Vermögensschadenshaftpflichtversicherung an dieser Stelle ohne weiteres greifen wird.

Ich bezeichne die Erstellung einer Selbstanzeige – auch unter dem Einfluss des Uli Hoeneß Prozesses – als Königsdisziplin eines Steuerberaters. Beherrscht ein Steuerberater nur sein Standardgeschäft, sollte er tunlichst die Finger von Selbstanzeigen lassen.

Sofern ein Steuerberater eine Selbstanzeige für einen Mandanten erstellt, empfiehlt es sich, vorher mit der Haftpflichtversicherung zu klären, inwieweit die Deckungssummen für den speziellen Fall ausreichen.

Bei Uli Hoeneß hat mich überrascht, dass im Rahmen der Beweisaufnahme während des Prozesses weder der Steuerberater, noch der pensionierte Betriebsprüfer als Zeugen befragt wurden. Zumindest die Verteidigung hätte entsprechende Beweisanträge stellen können. Vielleicht ist das ein Indiz dafür, dass bei der Befragung dieser Personen unmöglich unangenehme weitere Details im Vorschein gekommen wären. Nur das erklärt, warum die Verteidigung keine Beweisanträge gestellt hat. Dass die Staatsanwaltschaft darauf verzichtet hat, ist nicht nachvollziehbar. Nicht nachvollziehbar wäre auch, wenn die Staatsanwaltschaft keine Revision beantragen würde, zumal ich schon immer davon ausgegangen bin, dass für den Fall, dass die Selbstanzeige nicht gegriffen hätte, aufgrund der Schwere der Steuerstraftat das Strafmaß über fünf Jahre hätte liegen müssen. Nun sind wir bei 3,5 Jahren anbelangt und rein technisch ist dieses Strafmaß nicht zu verstehen, zumal es nicht wirklich signifikante Strafmilderungsgründe gab.

Ich bin auch der Meinung, dass sich am Ende die gesamte Entscheidung, wie schon immer, um die Qualität der Selbstanzeige gedreht hat. Die Judikatur bejaht auch nach der Gesetzesänderung die  Zulässigkeit einer gestuften Selbstanzeige, großzügige Schätzungen und ein Nachjustieren einer Selbstanzeige. Würde man sämtliche bisherigen Selbstanzeigen in Deutschland überprüfen, käme man sicherlich zu dem Ergebnis, dass die Mehrzahl über Mängel verfügt und dennoch zu einer Strafbefreiung geführt haben. Wenn im Fall Ulli Hoeneß über die Selbstanzeige 130 Millionen € nacherklärt wurden, wären die sich dann am Ende ergebenden 28,5 Millionen € Steuern davon mehr als berechenbar gewesen. Auch das Nachreichen von Unterlagen und Belegen zur Nachjustierung der Selbstanzeige ist meiner Ansicht nach zulässig gewesen, wobei unbestritten durch die Art und Komplexität der Finanztransaktionen des Uli Hoeneß es sehr schwer gewesen sein muss, die Besteuerungsgrundlagen genau zu ermitteln. Weder die Steuerfahndung, noch die Staatsanwaltschaft, noch das Gericht haben eine subtile Sachverhaltsermittlung vorgenommen, was eigentlich deren Aufgabe hätte sein müssen. Der kurze Prozess nach dreieinhalb Tagen hat es unmöglich gemacht, auf die Details der Selbstanzeige technisch einzugehen und die Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln. Insofern war das Ergebnis wiederum eine Schätzung was letztendlich beweist, dass das Instrument der Selbstanzeige in besonders komplexen Fällen und über mehrere Jahre hinweg nicht „bespielbar“ ist. Das stimmen des Instruments in Form einer Gesetzesänderung und oder klarer Verwaltungsanweisungen ist daher akut notwendig.

Unterstellt man, dass Uli Hoeneß alles um sie jederzeit nach einer Selbstanzeige offenbaren wollte und dies ein ungebrochener Wille war, erscheint mir das Urteil aus dieser Perspektive heraus nicht gerecht zu sein. Die Wirksamkeit der Selbstanzeige als Voraussetzung für die Strafbefreiung und die detaillierte Prüfung dieser Selbstanzeige durch das Gericht sind meines Erachtens im Zuge des Prozesses untergegangen. Womöglich hat man ja auch seitens der Verteidigung zu pauschal und oberflächlich argumentiert und aus der defensiven Haltung heraus, warum auch immer, keine entsprechenden Anträge während des Prozesses gestellt. Vorausgesetzt, Uli Hoeneß war der redliche Selbstanzeige, der nichts mehr versteckt hat, hätte er wegen der generellen gesetzlichen Ungereimtheiten von Selbstanzeigen und der womöglich mangelnden Erfahrung der Justiz im Umgang mit Selbstanzeigen, ein anderes Urteil verdient.

Für mich gab es in diesem Prozess nur die zwei Alternativen, nämlich Strafbefreiung oder maximales Strafmaß, wobei ich mich zu keinem Zeitpunkt emotional auf die Person Uli Hoeneß ausgerichtet hatte. Die Person war mir eigentlich völlig egal. Für mich sind meine Analysen rein technischer Art gewesen, unabhängig von den beteiligten Personen. Dass der Prozess medial und meistens gegen Uli Hoeneß von den Medien ausgeschlachtet wurde, überrascht nicht, ist aber enttäuschend und spricht nicht für einen investigativen Journalismus. Durchaus wurden womöglich das Gericht und vorher die Staatsanwaltschaft medial beeinflusst. Das Unterbewusstsein können auch solche Institutionen, zumal es sich bei den Beteiligten um Menschen handelt, nicht ausschalten.

Sollte Uli Hoeneß seit Abgabe seiner Selbstanzeige den maximalen Willen gehabt haben, unter Offenlegung sämtlicher Steuerstraftaten zur Steuerehrlichkeit zurückzukehren, ist dieses Urteil nicht gerecht und wohl eher politisch motiviert. Das System des Ablasshandels in Deutschland funktioniert nicht und erst recht nicht mit System. Hinsichtlich des Verzichts von Uli Hoeneß auf Revision kann man nur weiterhin mutmaßen. Vielleicht hat er keine Kraft mehr, ein weiteres Verfahren durchzustehen und die Angst davor, dass am Ende das Strafmaß noch höher ausfällt, oder hat er vielleicht nicht alle Karten auf den Tisch gelegt, oder hat seine Selbstanzeige doch so eklatante Mängel (was ja explizit im Prozess nicht aufgeklärt wurde), dass er in diesem Bewusstsein keine Revision beantragt hat.

RS, 14.03.2014